SuchtMagazin Nr. 3&4/2023

Geschäfts­modell Sucht

Sucht ist ein lukratives Geschäftsmodell für Anbietende von potenziell abhängig machenden Substanzen und Dienst­leis­tungen, denn wiederkehrende Kund:innen sind für den Erfolg eines jeden Geschäfts entscheidend. Dabei spielt der Zusam­menhang zwischen der (Sucht-)Politik und den Markt(-Regu­lie­rungen) eine zentrale Rolle. Zwei Beiträge in diesem Heft – der Artikel über die Marketingstrategien der E-Ziga­ret­ten­firmen und der Beitrag über die Lobbyarbeit für die Alkohol­industrie – zeigen dies exemplarisch auf. Weitere spannende Artikel befassen sich mit den Kosten von Sucht­verhalten, mit den ökonomischen Effekten der Cannabis­regu­lierung, mit der Dualproblematik Sucht und prekären finanziellen Verhältnissen sowie mit der Suchtprävention im Gaming-Bereich.

Artikel in dieser Ausgabe

Geschäftsmodell Sucht

Marktregulierungen von Suchtverhalten folgt gesellschaftlichen Werten. Märkte, die gesellschaftlich umstritten sind, produzieren Regulierungen, die sich dadurch auszeichnen, nicht am Markt, sondern an Werten orientiert zu sein. Solche Regulierungen umstrittener Märkte nehmen Korrektive auf, um Kompromisse mit gesellschaftlichen Werten zu erlauben. Eine historische Perspektive erlaubt dabei zu zeigen, wie der gesellschaftliche Wandel die moralische Dimension von der gesellschaftlichen Ebene zur individuellen Ebene verschiebt und wie sich die nicht mehr kontrollierbare Ausbreitung von Wissen über die Wirkung der Produkte auf die Regulierung auswirkt.

Das Geschäft mit der Sucht

Suchtgüterindustrien für alkoholische Getränke und Tabakprodukte sind trotz zahlreicher regulatorischer Einschränkungen nach wie vor äusserst erfolgreich. Ein wesentlicher Grund hierfür ist neben einem flexiblen und effizient auf Regulierungen reagierenden Management eine sehr wirksame Lobbytätigkeit, durch welche wichtige Gesetzesvorhaben abgeschwächt, aufgeschoben oder komplett abgewehrt werden. Die Kosten von schädlichem Konsum und Sucht übersteigen die Umsätze deutlich. Da aus gesamtgesellschaftlicher Sicht das Geschäft mit der Sucht ein Verlustgeschäft darstellt, gilt es wirksame Präventionsmassnahmen endlich umzusetzen.

Dualproblematik Sucht und prekäre finanzielle Verhältnisse

Wechselwirkungen zwischen Suchterkrankungen und finanziellen Problemen sind gut belegt. Es ist aber weder bekannt, wie viele Menschen in der Schweiz von dieser Dualproblematik betroffen sind, noch wie die Problemlast von Fachpersonen in der Beratungspraxis wahrgenommen und angegangen wird. Die Fachverbände der Sucht-, Budget- und Schuldenberatung haben sich daher entschieden, gemeinsam eine erste Erhebung durchzuführen, um die Prävalenz und den Umgang mit dieser Dualproblematik zu erfassen sowie Good-Practice-Beispiele zu identifizieren.

Der Mensch spielt; auch digital

In ihrem Bemühen, Betroffene über potenzielle Risiken in Bezug auf eine Gaming Disorder aufzuklären, sieht sich die Suchtprävention der Herausforderung gegenübergestellt, die Zielgruppe über komplexe Zusammenhänge in einer sich rasant entwickelnden Branche aufzuklären: Um die Zusammenhänge von Belohnungssystemen, Mikrotransaktionen, Dark Patterns und Blockchain-Gaming zu verstehen und darauf suchtpräventive Antworten zu finden, bedarf es eines differenzierten Wissens über Computer-, Video- und Handyspiele.

Zur Leseprobe

Aerosolnebel: die irreführenden Marketingstrategien der E-Zigarettenfirmen

Der Schweizer Markt für E-Zigaretten (ENDS) wächst mit einem Umsatzwachstum von bis zu 2200 % im Jahr 2022 exponentiell. Ein Grossteil dieses Erfolgs ist auf die aggressiven Marketingtaktiken der ENDS-Industrie und das Fehlen einer angemessenen nationalen Kontrollpolitik zurückzuführen. Zudem zeigen die Ergebnisse der 2022 HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children), dass jede:r dritte 15-Jährige in den 30 Tagen vor der Befragung mindestens ein Tabak- oder Nikotinprodukt konsumierte. Die höchsten Raten wurden bei der E-Zigarette verzeichnet.

Ökonomische Effekte der Cannabisregulierung in der Schweiz

Cannabisbezogene Aktivitäten lösen in der Schweiz einen direkten und indirekten Umsatz in Höhe von rund 1 Mrd. CHF aus. Die direkte Wertschöpfung entspricht etwa der Hälfte der Wirtschaft des Kantons Appenzell Innerrhoden. Der Vergleich mit drei Modellszenarien zeigt, dass die derzeitige Regulierung in der Schweiz den illegal operierenden Akteuren beträchtliche Gewinne einbringt. Dies verdeutlicht, wie wichtig es ist, auch die ökonomische Perspektive einzubeziehen, da diese dazu beitragen kann, die nicht ökonomischen Regulierungsziele zu erreichen.

Alkohollobbying in Europa

Obwohl es eine Reihe von Veränderungen gibt, ist es bisher nicht gelungen, den europäischen Alkoholmarkt im notwendigen Umfang zu reduzieren. Nach wie vor nimmt die Alkoholindustrie in Europa stark Einfluss auf die Politik. Dieser Beitrag zeigt anhand der Erfahrungen des Autors auf, in welcher Form und durch welche Strategien dies geschieht. Dabei wird deutlich, dass die Instrumente eigentlich vorhanden sind und es darauf ankommt, dass die Gesundheitsorganisationen, aber auch die Kranken- und Rentenversicherungen sich stärker als bisher als Lobbyisten für eine gesündere Gesellschaft einsetzen müssten.

act-info-Institutionsbefragung: Das Instrument zur Ermittlung der Suchtbehandlungsnachfrage in der Schweiz

Die act-info-Institutionenbefragung ist eine bedeutende Informationsquelle zur Epidemiologie im Suchtbereich in der Schweiz. Sie liefert eine landesübergreifende Einschätzung dazu, wie viele Personen aufgrund von Suchtproblemen behandelt werden und welche Suchtprobleme dabei besonders häufig auftreten. Im Jahr 2022 war die Mehrzahl der rund 47’500 an einem Stichtag in Behandlung befindlichen Personen wegen Alkohol (36,6 %) oder Opioiden (33,8 %) in Behandlung. Bei den über 36’000 Behandlungseintritten im Jahr 2021 stand Alkohol mit über 50 % der Fälle an der Spitze der registrierten Hauptprobleme.

Bilder dieser Ausgabe

Jan-Christoph Hartung, Miguel Hahn (Hahn+Hartung). Die Fotostrecke zum Thema «Geschäftsmodell Sucht» zeigt speziell gestaltete Objekte, die für den Drogen- und Alkoholkonsum entwickelt wurden und insbesondere Jugendliche oder junge Erwachsene ansprechen sollen. Mit ihren aussergewöhnlichen Designs ziehen die Gebrauchsobjekte die Aufmerksamkeit auf sich und werfen Fragen nach der Verführungskraft der Konsumkultur auf.

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