Kay U. Petersen, Sara Hanke, Anil Batra
Verhaltenssüchte: Einführung ins Thema
Bereits als die Glückspielsucht mit den Symptomen der Substanzabhängigkeit beschrieben wurde, zeichnete sich der spätere gemeinsame Weg von Verhaltenssucht und Substanzabhängigkeit in den Diagnostiksystemen DSM-5 und ICD-11 ab. Eine besondere Rolle im internationalen Prozess der wissenschaftlichen Anerkennung der Verhaltenssüchte kommt der «internet addiction» (Internetsucht) zu.
Florian Heusinger von Waldegge
Onlinespielesucht und die (ethische) Verantwortung der Wissenschaft
Die WHO wird «Gaming Disorder» als eigenständiges Krankheitsbild in den ICD-11 aufnehmen. Während einige WissenschaftlerInnen diesen Schritt begrüssen, sind andere skeptisch. Sie weisen auf wissenschaftsinterne Probleme, die strittige Orientierung der Forschung am Suchtmodell und auf das ethische Problem der Pathologisierung hin. Ein Blick auf die aktuelle Debatte zeigt die besondere Verantwortung der Wissenschaft bei der Erforschung und Klassifikation psychischer Erkrankungen.
Klaus Wölfling
Behandlung von Verhaltenssüchten
Entstehung und Aufrechterhaltung von Verhaltenssüchten sind insbesondere durch zugrundeliegende Lernmechanismen erklärbar, weshalb die Behandlung der Störungsbilder in der Regel auf verhaltenstherapeutischen Ansätzen beruht. Aufgrund der grossen Ähnlichkeit zu substanzgebundenen Suchterkrankungen werden in der Verhaltenssuchttherapie viele therapeutische Techniken eingesetzt, die sich bereits in der klassischen Suchtbehandlung bewährt haben. Typische Elemente sind dabei der Motivationsaufbau, Ziel und Verhaltensanalysen, Konfrontationstechniken sowie Copingstrategien und Rückfallprophylaxe. Kernziel der Therapie von Verhaltenssüchten ist es, eine Abstinenz vom problembezogenen Verhalten zu etablieren und diese auch nach Ende der Behandlung aufrechtzuerhalten. Wichtig ist dabei, zuvor gemeinsam mit den PatientInnen zu analysieren, welches Verhalten (z. B. Computerspielverhalten, chatten, oder Pornografiekonsum) mit dem Suchtverhalten verknüpft ist.
Zur Leseprobe
Andrea Wöhr
Pathologische Glücksspielerinnen im Abseits
Wenn von Menschen mit Glücksspielproblemen die Rede ist, denken die meisten an einen bestimmten Personentyp: männlich, jüngeren Alters, womöglich mit Migrationshintergrund. Nur wenige verbinden pathologisches Glücksspiel auch mit dem weiblichen Geschlecht. Durch die Konzentration auf die (zahlenmässig dominierende) Gruppe von männlichen Spielern besteht die Gefahr, dass Besonderheiten von Problem- oder pathologischen Spielerinnen vernachlässigt oder übersehen werden.
Christian Ingold
Safer Gambling: Prävention im Spiel
Der Schweizer Geldspielmarkt ist komplex, dynamisch und lukrativ. Regulierte, unregulierte und illegale Spiele werden angeboten. Prävention und Beratung sind durch die Lotterieabgabe finanziert, müssen aber alle Spielformen abdecken. Das neue Geldspielgesetz verpasst es, den SpielerInnenschutz konsequent ins Zentrum zu stellen. Dazu müssten sämtliche Angebote reguliert sowie die Forschung und die zu erwartenden Marktentwicklungen integriert werden. «Safer Gambling» ist ein aktuelles Beispiel von webbasierter Selbsthilfe. Sich selbst Limiten hinsichtlich des Verbrauchs an Geld und Zeit zu setzen, hat einen erwiesenen Effekt im Hinblick auf ein verantwortungsvolles Spielen.
Christian Ryser
«Die Zusammenarbeit ermöglicht eine ganzheitliche Betreuung»
Interview mit Christian Ryser, Geschäftsführer, Berner Gesundheit. Die Fragen stellten Urs Gerber und Marcel Krebs.
Katharina Blessing, Nina Pfirter
Schuldenberatung bei Geldspielsüchtigen
So gut wie alle Geldspielsüchtigen, die sich an eine Suchtberatungsstelle wenden, sind verschuldet. Zur Behandlung der Abhängigkeit gehört demzufolge auch das Regeln der Schuldensituation. Die Triage zwischen Schuldenberatung und Suchttherapie bzw. die Auflage an die KlientInnen, die jeweils andere Beratungsstelle zu besuchen, ist für den Behandlungserfolg oft entscheidend.
Oliver Stoll, Amr Roushdy Saad
Primäre Sportsucht: Forschungsstand und aktuelle Diskussionen
Anders als die intensive Berichterstattung in der «Regenbogenpresse» zum Thema vermuten lässt, handelt es sich bei der sog. Sportsucht um ein eher kleines Problem unter den psychopathologischen Erkrankungen. Studien gehen von einer Prävalenz von 1% bis 5% aus. Bis zum heutigen Tag ist es nicht klar, ob es sich bei dieser Erkrankung um eine klassische Suchterkrankung handelt oder ob wir eher über eine Impulskontrollstörung sprechen. Primär sportsüchtige PatientInnen scheinen sich in einem Kontinuum zwischen Bindung an Sport und suchthaftem Verhalten zu bewegen. Dies erschwert die Diagnostik, aber auch die Therapie dieser Störung.
Martin Bachmann
Sexsucht: Es bitzli Lust für viel Frust
Das mannebüro züri berät seit Jahren Männer therapeutisch bei Sexsucht. Sexsucht kennt kein klar umrissenes Krankheitsbild, sondern bleibt eine diffuse Diagnose, da individuelle Faktoren massgeblich zur Einschätzung beitragen. Die Ursache liegt meist darin, dass Sexualität eine potente Variante der Emotionsregulation darstellt. Verschiedene mit Sex assoziierte Tätigkeiten können zu suchtartigem Verhalten führen: Pornographie, Prostitution, Masturbation. Die Folgen können gravierende Ausmasse annehmen, bis 5% der Männer sind von Sexsucht betroffen. Die Therapie zielt darauf ab, die real gelebte Sexualität zu evaluieren und nachhaltig genussvollere Formen zu etablieren. Im Kern bedeutet dies, eine Harmonisierung von Emotionalität und Genitalität zu erreichen.
Fazit. ForschungsSpiegel von Sucht Schweiz
«Vom Internet süchtig» vs. «süchtig im Internet» Vorschlag einer Arbeitsdefinition
In der Schweiz nutzen 85% der Bevölkerung das Internet für den privaten Gebrauch.1 Bei einer solch weiten Verbreitung ist es nicht überraschend, dass einige Personen das Internet übermässig, unangebracht oder problematisch nutzen. Seit vor mehr als 20 Jahren erste klinisch relevante Fälle augenscheinlich wurden, hat nicht nur die Forschung zu diesem Phänomen stark zugenommen, sondern auch die Zahl der Versuche, das Phänomen zu beschreiben und zu benennen. Ein kürzlich erschienener Forschungsbericht bringt Ordnung in die Begrifflichkeiten, er unterscheidet zwischen Internetgebrauchsstörung und problematischem Internetgebrauch und schlägt als Diskussionsgrundlage je eine Arbeitsdefinition vor.