SuchtMagazin Nr. 2/2023

Behinderung und Sucht

Das Themenfeld Sucht und Behinderung ist noch ein Novum im öffentlichen Diskurs, die entsprechenden Schnittstellen wurden lange kaum beachtet. Wie kann jedoch eine integrative und barrierefreie Suchtarbeit gelingen? Mit welchen Heraus­forderungen sind die Versorgungsnetzwerke der Behinderten- und Suchthilfe konfrontiert? Diese und weitere Fragen werden im aktuellen SuchtMagazin diskutiert, u. a. auch mit Menschen, die selbst mit einer Behinderung leben. Zudem finden Sie Beiträge zur Anerkennung von Suchterkrankungen bei der Invalidenversicherung, zum Projekt Tandem, das die Vernetzung der Behinderten- und Suchthilfe fördert, sowie zum Healthy Athletes® Programm, das die Gesundheitsvorsorge von Athlet:innen mit geistiger Behinderung zum Ziel hat.

Artikel in dieser Ausgabe

Beeinträchtigung und Sucht – ein Überblick

Die Schnittstelle zwischen Behinderung und Sucht wurde lange kaum beachtet. Eine Herausforderung stellt dabei die äusserst grosse Heterogenität des Themas Behinderung dar: Es gibt diverse Beeinträchtigungsbilder und Ressourcen sowie unterschiedliche Verläufe und Risiken. Die noch fehlenden adaptierten Instrumente der Prävention, Behandlung und Rehabilitation vervollständigen das Bild der aktuellen Herausforderungen. Anpassungen des Systems und besseres Verständnis der Betroffenen sind nötig, um eine adäquate Versorgung zu gewährleisten.

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Barrierefreiheit in den Suchtfachstellen – eine Herausforderung?

In einem Gespräch tauschen sich vier Menschen, die selbst mit einer körperlichen, kognitiven oder Sinnesbehinderung leben, über Substanzkonsum und Sucht aus. Dabei wird deutlich, dass der Konsum einerseits als Türöffner für die Inklusion dient und anderseits ein grosses Suchtpotenzial damit verbunden sein kann. Darin unterscheiden sich Personen mit oder ohne Behinderung nicht. Ein wichtiger Bestandteil einer inklusiven Suchtarbeit ist daher das Ermöglichen eines gleichberechtigten Substanzkonsums, der sowohl das Erlernen eines sicheren Konsumverhaltens als auch die barrierefreien Zugänge zu den Angeboten der Prävention und der Suchtberatung beinhaltet.

Suchthilfe bei Menschen mit einer Intelligenzminderung – mehr als ein angepasstes Programm

Das Fundament der Suchthilfe für Menschen mit Intelligenzminderung oder Lernbehinderung ist ein Versorgungsnetzwerk von Behinderten- und Suchthilfe mit konstruktiver Zusammenarbeit in den Bereichen Prävention, Screening, Frühintervention, kognitive Verhaltenstherapie und Rehabilitation/Begleitung. Die in den Niederlanden entwickelten Methoden wurden auch in Dänemark, Deutschland, Belgien und der frankofonen Schweiz implementiert. Indes entwickeln sich die Therapien in den Niederlanden weiter mit Fokus auf eine fortlaufende Begleitung in der Behindertenhilfe, der Behandlung von spezifischen Komorbiditäten sowie den Einsatz von digitalen Technologien.

Projekt TANDEM – ein Praxisbeispiel im Porträt

Das Projekt «TANDEM – Besondere Hilfen für besondere Menschen im Netzwerk der Behinderten- und Suchthilfe» förderte die Vernetzung der Hilfesysteme und entwickelte bzw. adaptierte dazu geeignete Hilfsangebote. Fachkräfte der Behinderten- und Suchthilfe wurden anschliessend im Rahmen des «TANDEM Transfer»-Projektes in deren Anwendung geschult, die Umsetzung wurde begleitet sowie evaluiert und die Ergebnisse der Erprobung verbreitet.

Finanzierung und Anerkennung: Suchterkrankung und IV-Leistungen

Im Juli 2019 hat das Bundesgericht die Rechtsprechung zu den Leistungen der Invalidenversicherung (IV) bei Suchterkrankung geändert. Dies hatte Auswirkungen auf das IV-Verfahren und führte zu deutlich mehr Leistungszusprachen der IV für diese Personengruppe. Die Mitwirkungs- und die Schadenminderungspflicht der versicherten Personen bestehen allerdings weiterhin und der Grundsatz «Eingliederung vor Rente» wird von der IV auch bei versicherten Personen mit Suchterkrankung konsequent verfolgt. Daher haben die Rentenzusprachen bei der betroffenen Personengruppe zwar zugenommen, sind aber nicht explodiert. Der nachfolgende Artikel gewährt einen Einblick in die Praxis der IV-Stellen und erläutert, was es braucht, damit eine IV-Anerkennung bei einer Suchterkrankung erfolgen kann.

Übergewicht & Tabakkonsum von Special Olympics Athlet:innen – ein Problem?

Menschen mit geistiger Behinderung sind besonders häufig von einer unzureichenden und/oder schlechteren Gesundheitsversorgung betroffen. Das Healthy Athletes® Programm berät und bietet mit einem barrierearmen Präventionsprogramm erste Lösungsansätze an. Bei Untersuchungen fällt mitunter auf, dass viele Athlet:innen zu hohem Zuckerkonsum neigen und infolgedessen zu Übergewicht. Auch das Rauchverhalten ist mit 17 % ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko.

Früherkennung und Frühintervention – eine harmonisierte Definition für die Schweiz

Was versteht man in der Schweiz unter dem Begriffspaar Früherkennung und Frühintervention (F+F)? In den verschiedenen Arbeitsbereichen und Landesteilen eben nicht genau dasselbe, denn schon nur die Begrifflichkeiten sind verschieden: «Früherkennung und Frühintervention» in der Deutschschweiz, «Intervention précoce» in der französischsprachigen Schweiz. Aufgrund dieses Befunds hat sich eine Expert:innengruppe im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) intensiv damit befasst, den Ansatz zu klären. Im Jahr 2022 wurde die harmonisierte Definition publiziert.

Bilder dieser Ausgabe

«Wie fühlt es sich für Menschen mit einer Behinderung an, wenn sie psychoaktive Substanzen zu sich nehmen? Wie verändert sich in dem Moment ihre Sicht auf die Welt? Diese Fragen habe ich Nikolai Kiselev, der bereits seit längerer Zeit mit der Thematik betraut ist und diese Ausgabe inhaltlich begleitet, bei unserem Treffen vor Projektbeginn gestellt. Leider habe ich auch von ihm keine Antwort darauf erhalten. Das Feld Behinderung und Sucht ist (noch) sehr unerforscht und schwierig zu fassen.»

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