SuchtMagazin Nr. 2/2022

Schadens­minderung

Sie erinnern sich sicher noch an die offenen Drogen­szenen in verschiedenen Schweizer Städten in den 1980er- und 1990er Jahren. In diesem Kontext entstand die Schadens­minderung, mit der die Schweiz Pionierarbeit in der Drogenpolitik leistete. Seither hat sich die Schadens­minderung zwar etabliert, viele offene Fragen sind jedoch geblieben oder stellen sich neu. Wir begeben uns auf Spurensuche und zeigen die internationale Entwicklung und Bedeutung der Schadens­minderung auf. Ausserdem wird besprochen, inwiefern sich die Schadens­minderung auch auf den risikoreichen Konsum ausrichten soll und ob und in welchem Ausmass sie auch bei legalen Sucht­mitteln zu verorten ist.

Artikel in dieser Ausgabe

Die Schadensminderung – Begrifflichkeit, Entwicklung und internationale Perspektive

Die Schadensminderung hat sich in den letzten 30 Jahren in der Schweiz von einem aus der Not geborenen, innovativen Ansatz zu einer breit akzeptierten und evidenzbasierten suchtpolitischen Säule entwickelt. Der Artikel zeichnet die historische Entwicklung der Schadensminderung nach und zeigt auf, dass es ungeachtet der begrifflichen Unschärfe auch künftig wichtig ist, daran festzuhalten. Ausserdem wird die internationale Entwicklung und Bedeutung der Schadensminderung skizziert und aufgezeigt, dass eine nicht wertende, gemeinschaftsbezogene Leistungserbringung einen zentralen Beitrag für die öffentliche Gesundheit leistet.

Schadensminderung als Public-Health-Strategie

Schadensminderung als Public-Health-Strategie hat zum Ziel, Gesundheitsrisiken und -belastungen im Zusammenhang mit dem Konsum von psychoaktiven Substanzen und substanzungebunden Abhängigkeiten zu verringern, ohne das Aufgeben dieser Verhaltensweisen vorauszusetzen. Dabei steht die Wirkung auf der Ebene Bevölkerung oder bestimmter Risikogruppen im Vordergrund. Neben Massnahmen, die beim Risikoverhalten der Betroffenen ansetzen, gehört auch die Schaffung von schadensmindernden Rahmenbedingungen dazu. Aufgrund der hohen Problemlast bei Tabak und Alkohol ist eine Übertragung dieses Ansatzes aus dem Bereich der illegalen Substanzen prüfenswert. Eine Herausforderung ist die Vereinnahmung des Begriffs durch die Suchtmittelindustrie, um bestimmte Produkte zu fördern. Die Vermarktung risikoärmerer Produkte könnte sich negativ auf die öffentliche Gesundheit auswirken.

Ethische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Schadensminderung

Der Ansatz der Schadensminderung in der Suchtmedizin wird oft als wertfrei oder ethisch neutral beschrieben. Dabei ist «Schaden» per se bereits ein normativer, also bewertender Begriff. Häufige Rechtfertigungen für Schadensminderung bedienen sich der ethischen Theorie des Utilitarismus. Zudem basiert der Ansatz der Schadensminderung auf humanitären und liberalen Werten. Eine explizite ethische Auseinandersetzung mit dem Ansatz der Schadensminderung kann helfen, in herausfordernden Einzelfällen gute Entscheidungen zu treffen und die politische und gesellschaftliche Unterstützung für Schadensminderung sowie die Weiterentwicklung des Ansatzes zu fördern.

Aufsuchende Suchtarbeit: Chancen und Herausforderungen

Die geschichtliche Analyse zeigt auf, dass die aufsuchende Suchtarbeit bei der Entstehung der aktuellen Suchthilfe und insbesondere der Schadensminderung eine wichtige Rolle spielte. Der Artikel legt wesentliche Eigenheiten und Herausforderungen dieser Interventionsform dar und zeigt, dass durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle, der Beziehung zur Zielgruppe sowie den eigenen Handlungsmöglichkeiten die aufsuchende Suchtarbeit ihr ganzes Potenzial entfalten und einen wichtigen Beitrag zur Schadensminderung leisten kann.

Zur Leseprobe

Synthetische Cannabinoide und Schadensminderung bei Cannabis

Seit einigen Jahren zeigen immer mehr evidenzbasierte Daten, nebst zahlreichen Userberichten, dass Cannabisprodukte in der Schweiz Synthetische Cannabinoide enthalten und damit die Gesundheit von Konsumierenden gefährden. Die u. a. durch gezielte Cannabis-Drug-Checking-Angebote gewonnenen Daten helfen dabei, Konsumierende vor möglichen Risiken zu schützen und schadensmindernde Massnahmen zu entwickeln.

Hepatitis C: Prävention, Screening und Therapie in Gefängnissen

Trotz grosser Fortschritte in Diagnostik und Therapie von Hepatitis C bleiben auch in der Schweiz noch viele Betroffene unbehandelt oder sogar unerkannt. Dies betrifft insbesondere Personen mit früherem oder aktuellem Drogenkonsum. Im Freiheitsentzug ist diese Bevölkerungsgruppe überrepräsentiert und die Prävalenz der chronischen Hepatitis C ist aus mehreren Gründen erhöht. Zur Erreichung des WHO-Ziels, bis 2030 Hepatitis C zu eliminieren, sind in Haftanstalten Sonderbemühungen zur Prävention und Therapie notwendig. Von entsprechenden Programmen dürfen auch für Drogenkonsumierende in Freiheit positive Auswirkungen auf das Risiko, sich neu mit Hepatitis C zu infizieren, erhofft werden.

Konsumvorfälle in der stationären Sucht- und Sozialtherapie – eine individuelle Herangehensweise

Wird in der Suchtarbeit von suchtakzeptierend gesprochen, ist meist gemeint, dass Konsum akzeptiert wird und es sich um ein sogenanntes niedrigschwelliges Angebot handelt. «Suchtakzeptierend» bedeutet für uns in der Stiftung suchttherapiebärn, den Menschen in seiner Gesamtheit zu akzeptieren – und dazu gehört eben auch die Sucht in verschiedensten Ausprägungen. Im Jahr 2021 haben wir in der stationären Sucht- und Sozialtherapie gezielt auf ein individuelles Behandlungskonzept umgestellt.

Welche Veränderungen bringt die Legalisierung von Cannabis in den USA, Kanada und Uruguay?

18 Bundesstaaten der USA, Kanada und Uruguay haben in den letzten Jahren Cannabis legalisiert und legale Märkte eingeführt. Wie eine umfassende Literaturrecherche von Sucht Schweiz im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) zeigt, ist es heute meist noch zu früh, Rückschlüsse zu den Auswirkungen der äusserst unterschiedlichen Regulierungsmodelle zu ziehen. Die Analyse zeigt jedoch erste kurzfristige Erkenntnisse, besonders für die USA.

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