SuchtMagazin Nr. 3/2016

Gesundheits­förderung

Zwischen Eigenverantwortung und Fremdbestimmung | Grundlagen, Grenzen und Herausforderungen | Ottawa-Charta | Empowerment in der Gesundheitsförderung | Wegbereiter beim Bund | Gesundheitsförderung und Schadenminderung | Schwimmen lernt man im Wasser | Soziale Ungleichheiten im Gesundheitsverhalten | Recovery durch Peerarbeit

Artikel in dieser Ausgabe

Gesundheitsförderung zwischen Eigenverantwortung und Fremdbestimmung

Gesellschaftspolitische und sozioökonomische Rahmenbedingungen sind massgeblich für die Entfaltung von Autonomie und Gesundheit. Doch die aktuelle Gesundheitsförderung fokussiert den individuellen Lebensstil und die gesundheitliche Eigenverantwortung. Gesundheitsförderung wird allerdings nicht wirksam unter Bedingungen individualisierter Zuständigkeit für Gesundheit, sondern bedarf einer koordinierten gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik.

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Grundlagen, Grenzen und Herausforderungen der Gesundheitsförderung

Mit der wegweisenden Definition von Gesundheit hat die Weltgesundheitsorganisation WHO vor 70 Jahren eine stille Revolution im Gesundheitsverständnis ausgelöst, die in der Folge der Ottawa-Charta seit 30 Jahren mehr und mehr Form annimmt. Im Zentrum stand bis zuletzt, neben dem Ziel der individuellen Verhaltensänderung durch Gesundheitskompetenz, der sogenannte Settingansatz, der die Arbeits- und Lebensbedingungen in spätmodernen Gesellschaften aus dem Innen ihrer Organisationen verändern will. Heute sind die Grenzen beider Ansätze erkennbar. Die Gesundheitsförderung steht vor neuen Herausforderungen.

Empowerment in der Gesundheitsförderung

Empowerment ist ein Konzept mit hoher Anziehungskraft. Es hat Eingang gefunden in zahlreiche Leitbilder und Qualitätssysteme. Vergleichsweise selten werden das Konzept und sein Potenzial genauer geklärt. Für das professionelle Handeln ist es zentral, Macht und Machtverschiebungen zu analysieren. Selbstbemächtigung lässt sich zwar unterstützen, aber nicht als Fähigkeit beibringen.

Ottawa-Charta: Geschichte einer neuen gesundheitspolitischen Konzeption

Die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung von 1986 markiert einen Endpunkt eines längeren Entwicklungsprozesses und gleichzeitig den Beginn einer neuen Ära, oft auch als New Public Health bezeichnet. Innovativ waren vier Elemente: ein neues Gesundheitsverständnis, die starke Gewichtung von Lebensbedingungen, der Ansatz der «gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik» sowie eine Abkehr vom herkömmlichen Expertentum, hin zu Selbstbestimmung, Empowerment und Partizipation. Die Charta repräsentiert damit verschiedene in den 1970er und 1980er Jahren entstandene neue Denk- und Handlungsweisen, die sich in der Konzeption Gesundheitsförderung bündelten.

Gesundheitsförderung im Suchtbereich: Wegbereiter beim Bund

Konzepte zu Prävention und Gesundheitsförderung gab es in der Schweiz bereits vor der Ottawa-Charta. Diese brachte eine Bestätigung für eine nicht nur kurativ ausgerichtete Gesundheitspolitik, aber auch neue Anregungen, z. B. für die Integration der Gesundheitsförderung in das medizinische System. Welche Bemühungen dazu nötig waren und welche Hindernisse zu überwinden waren, lässt sich exemplarisch an der Einführung von schadensmindernden Massnahmen im Drogenbereich zeigen. Der dazu nötige Paradigmenwechsel ging von engagierten Einzelpersonen aus und wurde auf Bundesebene mit unterstützt. Dass die Gesundheitsförderung aber damals wie heute um ihren Platz kämpfen muss, zeigt das Gespräch mit zwei ehemaligen Leitern im Bundesamt für Gesundheit.

Gesundheitsförderung und Schadenminderung

Im Folgenden werden Gesundheitsförderung und Schadenminderung in einen Vergleich gebracht. Bei der Gesundheitsförderung geht es, zumindest in der öffentlichen Debatte, um die Abwendung von zukünftigem Schaden und Krankheit auf Populationsbasis. Dabei steht häufig die Ernährung im Fokus. Dadurch sieht sich die Gesundheitsförderung mit einer Milliardenindustrie konfrontiert, kämpft gegen einen ungesunden Lifestyle an und ist versucht, mit prohibitionistischen Ansätzen zu arbeiten. In Anbetracht der Finanzen stehen hier die Chancen für grundlegende Änderungen der Situation nicht gut. Dagegen ist die Schadenminderung deutlich bescheidener und trotz geringen Mitteln erfolgreich. Die Gesundheitsförderung müsste deshalb Prinzipien der Schadenminderung übernehmen.

Schwimmen lernt man im Wasser

Der Konsum psychoaktiver Substanzen wird in der Fachwelt als ein Verhalten beurteilt, das der Gesundheit abträglich ist. Ihre Interventionen zielen üblicherweise darauf hin, darauf möglichst zu verzichten. Es ist aber unbestritten, dass diese Substanzen auch positive Effekte haben, zu physischem und psychischem Wohlbefinden führen und gerade deswegen konsumiert werden. Was müssen wir also tun, dass die Menschen möglichst gut von den gesundheitsfördernden Aspekten des Konsums psychoaktiver Substanzen profitieren können? Drei Denkanstösse.

Ungleichheiten im Gesundheitsverhalten der Schweizer Bevölkerung

Risikoreiche Gesundheitsverhaltensweisen wie Alkohol- und Tabakkonsum, körperliche Inaktivität oder ungesunde Ernährung unterscheiden sich nach sozioökonomischem Status und sprachkulturellem Hintergrund. Von 1997 bis 2012 haben Personen mit tiefem Einkommen im Vergleich zu solchen mit hohem Einkommen ihr Gesundheitsverhalten kaum verbessert. Diese Ungleichheiten führen dazu, dass die sonst schon vulnerablen Bevölkerungsgruppen tendenziell auch einem höheren Risiko von nichtübertragbaren Krankheiten ausgesetzt sind. Die Mechanismen, die zu den Gesundheitsverhaltensweisen führen, sollten noch vertiefter untersucht werden, um die Effektivität und Effizienz von Massnahmen der Gesundheitspolitik und Gesundheitsförderung zu stärken.

Recovery durch Peerarbeit

Recovery steht für die Erkenntnis, dass Gesundung auch bei schwerer psychischer Erkrankung möglich ist. Recovery bedeutet, wieder Verantwortung zu übernehmen für die eigene Gesundung, mit dem Ziel, neue Lebensqualität zu gewinnen. Peers und Peernetzwerke können dabei eine wichtige Unterstützung sein.

Was kann die Prävention für die vulnerable Gruppe der Kinder aus suchtbelasteten Familien tun?

Zumeist erfolgt der Einstieg in den Substanzkonsum in der Adoleszenz. Dies geht auch aus den Daten der internationalen Schülerstudie HBSC hervor, welche für SchülerInnen zwischen 11 und 15 Jahren einen deutlichen Anstieg des Konsums zeigen. Generell zählt Substanzkonsum sowohl im Jugend- als auch im Erwachsenenalter zu den zentralen Gesundheitsrisiken, entsprechend gilt es, ihn, wenn möglich, zu verhindern oder wenn dies nicht gelingt, so zumindest auf ein weniger risikoreiches Mass zu reduzieren. In ihrem systematischen Überblick zur bestehenden internationalen Literatur gingen die AutorInnen der Frage nach, welche elternbasierten Programme zur Verhinderung oder Reduzierung jugendlichen Substanzkonsums bestehen, auf welche Wirkfaktoren zurückgegriffen wurde und wie erfolgreich die verschiedenen Programme in der Verhinderung bzw. der Reduzierung jugendlichen Substanzkonsums sind.

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