SuchtMagazin Nr. 2/2014

Schadens­minderung

Aktueller Stand, Herausforderungen, Perspektiven | Kontakt- und Anlaufstellen | Aufsuchende Soziale Arbeit | Nachtleben | Sexarbeitende | Substitutionsgestützte Behandlung | Gefängnis | Alkohol | Cannabis | Tabak

Artikel in dieser Ausgabe

Schadensminderung!

Die heutigen Angebote der Säule Schadensminderung sind ein unverzichtbarer Teil der Viersäulenpolitik der Schweiz und haben in den letzten 20 Jahren viel erreicht. Zahlreiche Organisationen haben sich professionalisiert und ihre Angebote den sich verändernden Konsummustern und Zielgruppen angepasst. In Zeiten des Sparens und des damit verbundenen Legitimationsdrucks muss über die Arbeit, die Lücken und Herausforderungen diskutiert und die Säule Schadensminderung dynamisch weiterentwickelt werden. Es braucht auch in Zukunft Fachleute, die ihre Expertise selbstbewusst aktiv nach aussen kommunizieren, um die wichtige und vielfältige Arbeit im Bereich der Schadensminderung einem breiteren Publikum vertraut zu machen.

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Kontakt- und Anlaufstellen: Kern der Schadensminderung

Die Entwicklung der Drogenpolitik hat die Schaffung von Kontakt- und Anlaufstellen mit Konsumräumen und ergänzenden Hilfsangeboten für Drogenabhängige ermöglicht. Dabei entstanden verschiedene Modelle, die aber laufend den sich verändernden Realitäten und Zielgruppen angepasst werden müssen. Dazu gehören älter werdende Personen, KlientInnen mit Kindern oder auch jugendliche Konsumierende. Doch das Grundproblem bleibt weiterhin bestehen: die Illegalität der Drogen und der damit einhergehende Schwarzmarkt. Vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen der Schadensminderung vielleicht nur ein Tropfen auf den heissen Stein.

Aufsuchende Soziale Arbeit im Bereich Überlebenshilfe

Heute sind unterschiedliche aufsuchende Angebote im öffentlichen Raum zu finden; es ist deshalb nützlich, die Aufsuchende Soziale Arbeit (ASA) in ihrer Aufgabe und Ausrichtung näher zu bestimmen. In ihrem Selbstverständnis ist ASA professionelles sozialarbeiterisches Handeln im öffentlichen oder halböffentlichen Raum. Sie vertritt klare Haltungen und handelt methodisch. Primäre Aufgabe der ASA ist es einen Zugang zu einer Zielgruppe herzustellen, die von keiner anderen Einrichtung des Hilfssystems erreicht werden kann.

Schadensminderung im Schweizer Nachtleben

Ausgehen, Partyfeiern ist eine der wichtigsten kollektiven Freizeitaktivitäten junger Menschen. Die Bars, Clubs und Events bilden oft eigentliche Nightlife-Areas. Auch wenn Ausgehen primär Spass bedeutet, sind riskante Verhaltensweisen häufig anzutreffen: übermässiger Alkohol- und/oder unreflektierter Drogenkonsum, gewalttätiges Verhalten oder sexuelles Risikoverhalten. Seit den 90-er Jahren gibt es in der Schweiz präventive und schadensmindernde Nightlife-Angebote.

Überlebenshilfe für Prostituierte

Im Bereich der Überlebenshilfeangebote für Prostitutierte – insbesondere für Frauen, die auf dem Strassenstrich anschaffen – steht die Schadensminderung an erster Stelle: Infektionsprophylaxe, Prävention, ärztliche Hilfe, Vermittlung an andere Stellen, soziale und rechtliche Beratung und Warnungen vor gewalttätigen Freiern. All diese Massnahmen bieten jedoch keinen vollumfänglichen Schutz der Sexarbeitenden. Nur durch die Enttabuisierung und Anerkennung der Sexarbeit als eigenständiger Beruf kann ihre soziale Situation nachhaltig verbessert werden.

Schadenminderung und substitutionsgestützte Behandlung

Substitutionsgestützte Behandlungen haben eine lange Geschichte hinter sich. Früher in der Hand der behandelnden ÄrztInnen, unterliegen sie heute einer komplexen Reglementierung und stehen unter behördlicher Kontrolle. Für die Medizin, konfrontiert mit unzähligen nicht heilbaren Erkrankungen, ist Minderung des krankheitsbedingten Schadens und des Leidens eine Selbstverständlichkeit. Entsprechend stellt sich die Frage nicht, ob die Behandlungen Therapie oder nur Schadenminderung seien. Die wissenschaftliche Datenlage zu den Behandlungen ist heute so gut, dass evidenzbasierte medizinische Empfehlungen abgegeben und eine gute Praxis beschrieben werden können.

Schadensminderung im Gefängnis

Häftlinge haben oftmals nur begrenzten Zugang zur Gesundheitsversorgung und leiden schon vor der Inhaftierung unter sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung, mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit. Im Gefängnis sind somatische und psychiatrische Probleme häufig und der Substanzkonsum mit riskanten Praktiken und daraus folgenden Infektionskrankheiten weit verbreitet. Trotzdem sind effiziente Präventionsmassnahmen längst nicht in allen Gefängnissen vorhanden. Dies widerspricht fundamentalen Prinzipien der Gesundheitsversorgung im Gefängnis wie dem Äquivalenzprinzip, laut dem Inhaftierte den gleichen Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen haben müssen wie die Allgemeinbevölkerung.

Alkohol und Schadensminderung

In der Schweiz gibt es eine Vielzahl von Interventionen, die auf eine Reduktion von negativen und schädigenden Auswirkungen des Alkoholkonsums abzielen. Als eigentliche Massnahmen der Schadensminderung gelten jedoch solche, die gesundheitliche und gesellschaftliche Schäden zu reduzieren versuchen, ohne auf eine Veränderung des Konsumverhaltens resp. der Konsumhäufigkeit zu fokussieren. Im Vordergrund steht die Minimierung schädlicher Begleiterscheinungen des Alkoholkonsums, wie z. B. alkoholassoziierte Unfälle.

Schadensminderung und Cannabis: Ist Safer Use möglich?

Cannabisprodukte gehören zu den mit Abstand am häufigsten konsumierten illegalen Substanzen in der Schweiz. Auch wenn die meisten KonsumentInnen sozial und psychisch unauffällig bleiben, hat Cannabis ein körperliches wie auch psychisches Risikopotenzial. Trotzdem ist Schadensminderung bei Cannabis unter Fachleuten selten ein Thema. Der Hauptgrund ist, dass Cannabisprodukte meist zusammen mit Tabak konsumiert werden und Schadensminderung deshalb fachlich sehr umstritten ist. Schadensminderung bei Cannabiskonsum ist aber möglich und fachlich sinnvoll, z. B. in Bezug auf weniger riskante Konsumformen (vaporizen), sporadischen statt chronischen Konsum und bessere Kenntnisse der Wirkstoffzusammensetzung einzelner Cannabisprodukte.

«Das Beste ist, Sie hören auf!» «Und das Zweitbeste?» Tabak-Schadenminderung

Die geläufigen Begriffe «Tabakkonsum» und «Nikotinabhängikeit» beschreiben das zugrunde liegende Problem, nämlich das Zigarettenrauchen, nur unzulänglich und bedürfen deshalb einer Klärung. Der Schaden des Zigarettenrauchens ist nicht primär ein Substanzproblem, sondern ein Problem der Konsumform. Durch eine rigide Haltung der Tabakbekämpfer und aufgrund von wenig durchdachten gesetzlichen Regelungen wird Betroffenen eine Palette von schadenmindernden Massnahmen vorenthalten. Diese zielen entsprechend primär auf die Konsumform und nicht auf die Substanz (sei es Tabak oder Nikotin). Eine zukünftige, vernünftige Tabakpolitik müsste sich pragmatisch auf wissenschaftliche Befunde abstützen und nicht so sehr auf die Utopie einer rauchfreien Welt.

Evidenzbasierte Suchtprävention bei jungen Menschen

Die Evidenzbasierung von Präventionsmassnahmen nimmt eine immer grössere Rolle in der öffentlichen und fachlichen Diskussion ein. Dass präventive Massnahmen nachweislich Effekte auf den Substanzkonsum der Zielgruppe haben sollen, wird häufig von Seiten potenzieller Förderer verlangt. Zusätzlich ist zu beobachten, dass die Anzahl an qualitativ hochwertigen wissenschaftlichen Publikationen zur Wirksamkeit von Präventionsmassnahmen über die letzten Jahre zugenommen hat. Vor diesem Hintergrund ist es für Personen, die im Bereich der Suchtprävention tätig sind, nicht immer einfach, den Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Evidenzbasierung zu behalten. Hier setzt die «Expertise zur Suchtprävention» an: Sie ist eine Neuauflage und Erweiterung der bekannten «Expertise zur Prävention des Substanzmissbrauchs» und bietet auf 129 Seiten einen solchen Überblick.

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